“Lesser artists borrow; great artists steal.” Igor Stravinsky
Am 22. März 2012 war es soweit. Die in Deutschland leider zu unrecht gänzlich unbekannte Late-Night-Show Jimmy Kimmel Live!, die in den USA so etwas wie das junge Pendant zu Letterman und (ehemals) Jay Leno darstellt, zeigte einen kurzen Clip, in dem Prominente Tweets vorlasen. Der Name des Segments lautete simpel und einfach „Mean Tweets“.
Wenig später schlug das Video ein wie eine Bombe und ging viral. Von zahllosen Entertainmentportalen, Popkulturblogs und Webseiten der USA verlinkt, verbreitet sich das Video schnell über das gesamte Internet. Ohne Zweifel hatten die hinter den Kulissen werkelnden Autoren der Show mit dem Segment einen Nerv der Twitter-Generation getroffen.
Prominente lesen Twitter-Nachrichten – was normalerweise nur ein Gähnen hervorgerufen hätte, bekam eine neue Dynamik: Der humoristische Effekt des Segments wird dadurch erzielt, dass ausschließlich negative, rassistische, frauenfeindliche oder einfach nur absurde Tweets verlesen werden, die sich auf persönliche (und oft verletzende) Art und Weise den Prominenten beleidigen. Wenn man so will, eine Art Meta-Humor, eben weil der jeweilige Twitter-Nutzer wahrscheinlich nicht einmal im Traum die Hoffnung gehabt hat, dass die von ihm ausgespuckte Beleidigung jemals ihr Ziel erreicht. Durch diese inhaltliche Beschränkung und die zumeist als „Deadpan“ (ein regungsloses Registrieren des Gehörten ohne eine emotionale Komponente) inszenierte Reaktion erzielte die Show zahlreiche Lacher.
Dank des Erfolg des Show-Segments wurde die Reihe regelmäßig weitergeführt. Auf Schauspieler folgten NBA-Stars, auf NBA-Stars Rapper und auf amerikanische Rapper wieder Schauspieler. Wie man Entertainment und PR erfolgreich vermischt, zeigte Kimmel kürzlich, als er sein Lieblingsopfer (und besten Freund) Matt Damon Tweets über sich selbst vorlesen ließ. Wie passend, dass dieser dabei gleichzeitig seinen Film „The Monuments Man“ mit George Clooney bewerben konnte.
Doch nicht nur die Redaktion von Jimmy Kimmel war begeistert von dem Segment. Der Erfolg führte auch in anderen Medien zu zahlreichen Nachahmern. Warum nicht gleich amerikanischen Kongressabgeordnete böse Tweets über sich selbst verlesen lassen, fragte sich usnews.com?
Ganze zwei Jahre später waren auch die PR-Experten und Spin-Doctors der deutschen Politik auf die Idee gekommen, dass ein wenig Selbstironie nicht schaden kann. So schaffte es die Idee nach Deutschland und in die Online-Variante des SPIEGEL.
Politiker lesen fiese Tweets vor: „Schon die Fresse poliert bekommen?“
In dem Artikel selbst: Keine Erwähnung von Jimmy Kimmel oder auch nur dem Begriff „Mean Tweets“. Man hatte sich einfach bedient, ohne den Urheber kenntlich zu machen. Ein bisschen Grinsen muss über die Clips deutscher Politiker leider trotzdem.